EU-Libyen Kooperation - Pull-backs per Fernsteuerung

Die zunehmende Auslagerung  der europäischen Verantwortung zur Seenotrettung führt zu massenhaften Rückführungen von Migrant*innen nach Libyen per "Fernsteuerung" durch EUropäische Flugzeuge. Zusammen mit der Notruf-Hotline AlarmPhone sowie den Seenotrettungsorganisationen Sea-Watch und Mediterranea haben wir in dem Bericht "Remote control: the EU-Libya collaboration in mass interceptions of migrants in the Central Mediterranean" die Unterstützung der sogenannten libyschen Küstenwache durch EU Akteure im zentralen Mittelmeer dokumentiert. Die Pull-backs werden von europäischen Behörden wie Frontex und EUNAVFOR Med koordiniert und von der sogenannten "libyschen Küstenwache" durchgeführt. Die sogenannte "libysche Küstenwache" wird von der EU finanziert, ausgestattet und ausgebildet. Es handelt sich um Milizen, die bereits durch offenkundige Menschenrechtsverletzungen und die Zusammenarbeit mit Menschenschmugglern aufgefallen sind.

Am 17. Juni 2020 veröffentlichten wir den Bericht im Rahmen einer Online-Diskussion im UnitedWeTalk Format. Auf der Grundlage ihrer Beobachtungen aus erster Hand diskutierten Aktivist*innen von AlarmPhone, Mediterranea und Sea-Watch gemeinsam mit uns und Matthias Monroy darüber, wie die operative Zusammenarbeit zwischen der EU und Libyen funktioniert und wie sie zu massenhaften Rückführungen fliehender Menschen beiträgt. Unsere Gastredner*innen, Sally Hayden (Journalistin) und Yasha Maccanico (Statewatch), gingen auf die jüngsten Entwicklungen in den libyschen Lagern ein und wiesen auf die Rechenschaftspflicht der europäischen Akteure hin. In Anbetracht des gegenwärtigen Bürgerkrieges und unzähliger Berichte über Folter, Vergewaltigung und weitere erniedrigende Behandlungen in den Gefangenenlagern ist klar, dass Libyen nicht als sicheres Land für Migrant*innen und Geflüchtete betrachtet werden kann.

Die vollständige Online-Diskussion könnt ihr hier verfolgen.

Der Bericht "Remote control" beinhaltet die Rekonstruktion von drei spezifischen Seenotrettungen, die mit illegalen Pull-backs durch die sogenannte "libysche Küstenwache" endeten. Im Bericht liefern wir den rechtlichen Hintergrund der von der EU begangenen Verstöße und eine Analyse, wie die Kooperation zwischen EU Behörden und der sogenannten "libyschen Küstenwache" operativ funktioniert. Die Rekonstruktionen basieren auf Augenzeugenberichten auf See und umfassen Seenotrufe sowie Funkkommunikation zwischen verschiedenen Akteuren wie den europäischen Behörden und ihren libyschen Stellvertretern. Dieser Bericht beweist auch, dass nur wenige der erläuterten kriminellen Praktiken bekannt wären, wenn NGOs dauerhaft von der Arbeit auf See ausgeschlossen würden.

Die EU ist verantwortlich für die ferngesteuerte Kontrolle von Rückführungen nach Libyen durch Überwachung und Koordinierung aus der Luft. Die EU-Behörden instrumentalisieren die COVID-19-Krise, um bereits bestehende Praktiken der unterlassenen Hilfeleistung auf See zu normalisieren, und verletzen weiterhin das Prinzip der Nicht-Zurückweisung. Unter keinen Umständen kann die COVID-19-Pandemie die Push- und Pullbacks fliehender Menschen nach Libyen rechtfertigen.

Auf der Grundlage der in dem Bericht nachgewiesenen rechtswidrigen Praktiken fordern wir gemeinsam:

  •     Den sofortigen Widerruf der libyschen Such- und Rettungsregion (SRR).
  •     Das Ende der Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten mit den libyschen Behörden, einschließlich der sogenannten "libyschen Küstenwache", aufgrund ihrer nachgewiesenen Menschenrechtsverletzungen und sich überschneidenden Beziehungen mit Bürgerkriegsakteuren und Schmugglernetzwerken.
  •     Das Ende der EU-Luftüberwachung, die von libyschen Milizen durchgeführte Pull-backs ermöglicht.
  •     Die Einhaltung internationaler Konventionen durch die Europäischen Rettungskoordinationszentren, die Notrufe ignorieren, Rettungen verzögern sowie Pull- und Push-backs nach Libyen koordinieren.
  •     Die Einhaltung der UN-Flüchtlingskonvention von 1951, insbesondere des Non-Refoulement-Prinzips, auch während der COVID-19-Pandemie.
  •     Ein Bekenntnis zu Menschenrechtsprinzipien bei SAR-Operationen, auch bei solchen, die in der umstrittenen libyschen Seenotrettungsregion stattfinden.
  •     Die Einrichtung sicherer und legaler Fluchtrouten, wobei Bewegungsfreiheit für Alle als ein Grundrecht zu gewährleisten ist.

Der Bericht sowie Videos der dokumentierten Fälle sind auf einer eigens eingerichteten Website zugänglich: eu-libya.info