11.08.2025

Scirocco: Aktueller Newsticker aus Italien

Scirocco [ʃiˈrɔkko-Schirokko] ist ein südöstlicher, heißer starker Wind, der für oftmals nur wenige Stunden Staub und Sand über das Mittelmeer nach Sizilien und Italiens Norden trägt. Diese Kurzinfo erscheint seit März 2021. Seit Juni 2025 in einem neuen Format: Statt einmal im Monat informiert die neue Scirocco-Timeline zeitnah über die neusten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Italien rund um das Thema Migration.

 

08. August 2025: Libyen

Keine Gerechtigkeit für Almasris Opfer – Gericht spricht Ministerpräsidentin frei

Am 4. August 2025 wurden die Ermittlungen gegen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im Zusammenhang mit der Auslieferung des libyschen Kriegsverbrechers Osama Almasri eingestellt. Almasri war im Januar 2025 in Turin auf Grundlage eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) festgenommen worden, wurde jedoch wenige Tage später freigelassen und mit einem italienischen Regierungsflugzeug nach Libyen ausgeflogen. Das zuständige Gericht in Rom erklärte, es gebe keine ausreichenden Belege für eine direkte Beteiligung Melonis an der Freilassung und Ausreise. Meloni selbst bezeichnete das Argument als “absurd” und verteidigte öffentlich die Entscheidung ihrer Minister, die nicht ohne ihre Zustimmung gehandelt hätten. Die Ermittlungen gegen Innenminister Matteo Piantedosi, Justizminister Carlo Nordio und Staatssekretär Alfredo Mantovano sollen hingegen fortgeführt werden. Dafür ist allerdings eine Genehmigung des Parlaments erforderlich, in dem die Regierungskoalition unter Meloni über eine deutliche Mehrheit verfügt. 

Almasri werden schwerste Verbrechen vorgeworfen, darunter Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter, Mord sowie sexualisierte Gewalt gegen Migrant*innen und Kinder. Der Aktivist Lam Magok Biel Ruei, der sowohl Opfer als auch Zeuge der Gräueltaten des libyschen Folterers Almasri war, hatte im Februar den Mut gefasst, die italienische Regierung anzuzeigen. Die Gerichtsentscheidung ist mehr als enttäuschend, denn sie raubt ihm und vielen anderen Menschen, die Almasris Gewalt überlebt haben, das Recht auf Gerechtigkeit. Almasri wird weiterhin – unterstützt von der italienischen Regierung – Menschen in Libyen misshandeln, vergewaltigen und foltern. 

 

4. August 2025: Migrationspolitik in Italien

EuGH Urteil „sicheren Herkunftsländern“: Auswirkungen auf die italienische Migrationspolitik 

Am 1. August hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein wegweisendes Urteil verkündet, das die rechtlichen Grundlagen der Einstufung „sicherer Herkunftsländer“ in der EU erheblich verändert. Das Urteil stellt klar: Nationale Gerichte müssen die von den jeweiligen Regierungen aufgestellten Listen der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten überprüfen. Die Informationsquellen für die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat müssen offen gelegt werden. Zudem betont der EuGH, dass ein Herkunftsland nicht als sicher gelten kann, wenn einzelne Personengruppen verfolgt werden.   

Dies betrifft Geflüchtete aus z.B. Bangladesh, Tunesien und Ägypten, deren Herkunftsländer in Italien als sicher gelten. Sie müssen daher ein beschleunigtes Asylverfahren durchlaufen und werden zu diesem Zweck inhaftiert. Dies soll die Abschiebung bei einer negativen Entscheidung schneller ermöglichen. Laut dem EuGH darf die Inhaftierung in solchen Fällen nicht automatisch erfolgen. In der Praxis heißt das: die systematische Inhaftierung ohne gerichtliche Einzelfallprüfung ist nicht mit EU-Recht vereinbar.

Obwohl das sogenannte Albanien-Modell, mit dem die italienische Regierung beschleunigte Asylverfahren auch vor den Toren der EU durchführen wollte, zur Anfrage von mehreren italienischen Gerichten bei EuGH geführt hatte, wurde zum aktuellen Zeitpunkt nicht über die Rechtmäßigkeit der Auslagerung von Asylverfahren an Drittstaaten entschieden.

 

28. Juli 2025: Libyen

Italien bildet ostlibysche Soldaten aus

Bisher war es nicht öffentlich bekannt: Auf mehreren Militärstützpunkten in Italien werden Soldaten des libyschen Generals Khalifa Haftar ausgebildet, der seit 2017 den Osten Libyens kontrolliert und von Russland unterstützt wird. Wie die konkurrierende Regierung in Tripolis erhebt Haftar den Anspruch, die einzig legitime Regierung in Libyen zu sein – allerdings mit dem Unterschied, nicht international anerkannt zu werden. Faktisch von den Truppen Haftars kontrolliert begehen die Kämpfer der Miliz Tariq Ben Zeyad rechtswidrige Tötungen, Folter und Verschwindenlassen – insbesondere an Migrant*innen. Recherchen der Tageszeitung Il Post zufolge, die mittlerweile vom italienischen Verteidigungsministerium bestätigt worden sind, organisiert die italienische Armee trotzdem mehrmonatige Ausbildungskurse für Haftars Soldaten. Auf Fotos, von denen die meisten im Jahr 2024 auf Social Media veröffentlicht wurden, sind Kasernen und Ausbildungsstützpunkte in Pisa und Sardinien zu erkennen.

Während italienische Politiker*innen seit Jahren beide Seiten – in Tripolis und Bengasi – offiziell besuchen, verwies General Haftar eine EU-Delegation des Landes, da die EU-Vertreter*innen auf keinen Fall mit den Ministern Haftars fotografiert werden wollten, da es als Anerkennung hätte gewertet werden können. Die Delegation war Anfang Juli mit dem Ziel nach Bengasi gereist, um die Bekämpfung von Migration über das Mittelmeer zu besprechen, da die Ankünfte aus Ostlibyen deutlich gestiegen sind.

 

25. Juli 2025: Italien-Albanien-Abkommen

„Abschiebung um jeden Preis“: Italiens Außenlager in Albanien kosten über 100.000 Euro pro Tag

Italiens neu errichtete Abschiebelager im albanischen Gjader und Shëngjin sollen laut Regierung Meloni die Rückführungen „effizienter“ machen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Wie ActionAid und die Universität Bari in einem aktuellen Bericht zeigen, verursacht das Projekt massive Kosten bei minimaler Wirkung.

Zwischen Mitte Oktober und Ende Dezember 2024 zahlte die Präfektur Rom 570.000 Euro an die Betreiberorganisation Medihospes – für insgesamt nur fünf Tage tatsächlichen Betriebs der CPRs in Gjadër und Shëngjin. In diesem Zeitraum wurden lediglich 20 Personen inhaftiert. Das entspricht 114.000 Euro pro Tag –  ein beispielloser Wert für ein Instrument, das kaum Abschiebungen ermöglicht und nur systematische Gewalt reproduziert. 

Dabei ist die eigentliche Legitimation der CPRs, und zwar die Verbesserung der Rückführungspolitik,  längst widerlegt: Laut offiziellen Zahlen wurden im Jahr 2024 nur 41,8 % der in CPRs eingewiesenen Personen tatsächlich abgeschoben – ein historisches Tief seit 2014. Von 6.164 eingewiesenen Menschen wurden nur 2.576 abgeschoben. Die übrigen blieben teils bis zu 18 Monate in Haft, was nicht nur das Ausmaß institutionalisierter Freiheitsberaubung offenbart, sondern auch die menschlichen Kosten eines Systems, das auf Abschreckung statt auf Rechtssicherheit setzt.

Das Italien-Albanien-Abkommen wird als „zivilisatorischer Tiefpunkt“ bezeichnet: teuer, ineffektiv und menschenrechtsfeindlich. Je weiter Europa seine Grenzen auslagert, desto intransparenter, teurer – und unmenschlicher –  wird der Umgang mit Schutzsuchenden und Migrierenden.

 

22. Juli 2025: Libyen

Die Verfolgung libyscher Kriegsverbrecher: Italien drückt sich vor der Verantwortung

Die Debatte über die Beziehungen der EU zu libyschen Milizen, die in schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, wurde mit der Verhaftung von Khaled al Hisri - bekannt unter dem Namen Al Buti - neu entfacht. Die deutschen Behörden verhafteten den Kommandeur der Rada-Miliz (Special Deterrance Force) am 18. Juli. Al Buti wird beschuldigt, für Morde, Folter, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt verantwortlich zu sein, die zwischen 2015 und 2020 in Libyen - meist im berüchtigten Mitiga-Gefängnis - begangen wurden. Seine Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wird derzeit in Berlin geprüft.

Das Mitiga-Gefängnis steht im Mittelpunkt einer seit 2011 laufenden Untersuchung des IStGH wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen, bei der eine Reihe von Personen verdächtigt werden, darunter auch Al Buti selbst. Im selben Fall geht es auch um Osama Al Masri, den obersten Befehlshaber von Rada, der abgefangen, freigelassen und mit einem italienischen Regierungsflugzeug nach Libyen zurückgeflogen wurde, was einen politischen Eklat auslöste. Während die italienische Regierung ein Schreiben des libyschen Botschafters an Tajani, den Außenminister von Italien, als Rechtfertigung für die Organisation des Rückflugs nutzte, hält der IStGH unverändert an seiner Anklage fest: Italien sei seiner Verpflichtung zur Kooperation nicht nachgekommen und habe die Anforderungen des Gerichts missachtet.

Der Fall könnte einen Wendepunkt für die internationale Verantwortungsübernahme in Libyen darstellen. Der IStGH hatte lange Zeit Schwierigkeiten, Verbrechen im Zusammenhang mit dem Libyen-Konflikt zu verfolgen, was zum Teil auf politische Einmischung und die strategischen Partnerschaften zwischen europäischen Regierungen und libyschen Milizen zur “Migrationskontrolle” zurückzuführen ist.


 

18. Juli 2025: Kriminalisierung 

Wegweisendes EuGH-Urteil im Kinsa-Fall: Anti-Schleuser-Gesetze dürfen nicht gegen Grundrechte verstoßen

Am 3. Juni 2025 wurde O.B., eine kongolesische Frau und Mutter, die im August 2019 direkt nach ihrer Ankunft am Flughafen in Bologna verhaftet wurde, freigesprochen. O.B. reiste zusammen mit ihrer 8-jährigen Tochter und 13-jährigen Nichte, für die sie nach dem Tod ihrer Schwester die Fürsorge übernahm. Sie floh vor den Morddrohungen ihres Ex-Mannes und nutzte gefälschte Pässen für die Einreise nach Italien. Sie wurde noch am Flughafen von den beiden Kindern getrennt und wegen “Beihilfe zur unerlaubten Einreise” verklagt.

Das Gericht entschied nun: Es muss der in der EU-Grundrechtecharta verankerte Schutz von Minderjährigen und der Schutz der Einheit der Familie gelten. Es ist nicht strafbar, mit Kindern, die unter der eigenen Obhut stehen, in die EU einzureisen und einen Asylantrag zu stellen. 

Die Entscheidung verstärkt die Forderungen nach humanitären Ausnahmeregelungen, um den Missbrauch der italienischen Anti-Schleuser Gesetze, die zur Kriminalisierung von people on the move und solidarischen Unterstützer*innen genutzt werden, zu verhindern. O.B. aber auch viele andere Personen, die willkürlich für Migration oder Solidarität kriminalisiert wurden, verdienen Gerechtigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass das Gerichtsurteil einen Einfluss auf die aktuell laufenden Verhandlungen zum EU-Schleuser Paket (Facilitators Package) haben wird.

 

11. Juli 2025: Arbeitsausbeutung

Borgo Mezzanone: Menschenunwürdige Lebensbedingungen für migrantische Erntehelfer*innen in Süditalien

In der informellen Siedlung Borgo Mezzanone, nahe der Stadt Foggia (Apulien) leben aktuell rund 5.000 Migrant*innen aus Somalia, Nigeria, Ghana, Bangladesch, Pakistan und Syrien. Die meisten von ihnen arbeiten als Tagelöhner*innen in der lokalen Tomatenernte. Durch falsche Versprechungen und illegale Arbeitsvermittlung sind sie in den Ausbeutungsverhältnissen der süditalienischen Landwirtschaft gelandet. Die Lebensbedingungen auf der "Piste", wie die Siedlung auch genannt wird, sind vor allem in den Sommermonaten äußerst dramatisch: Die Wellblechhütten, in denen bis zu fünf Personen auf engem Raum zusammenleben, erreichen Temperaturen von bis zu 49 Grad. Bewohnende berichten davon, kaum atmen zu können. Es gibt weder Abwasser noch ein Abfallsystem, der Müll staut sich an. Wasser wird nur zweimal pro Woche geliefert. Außerdem herrscht durch die Hitze erhöhte Brandgefahr. Viele Menschen sind bereits an den Folgen von aufgestautem Stickstoff und Rauchentwicklung erkrankt, einige Bewohner*innen sind bei Bränden verstorben. 

Die Lebensrealität der Frauen vor Ort (die nur 10% aller Bewohner*innen ausmachen) ist von mehrfacher Marginalisierung geprägt, wie Amnesty International berichtet: Nahezu alle Frauen sind von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung betroffen. Viele leben ohne gültige Aufenthaltspapiere und verfügen nur über geringe Italienischkenntnisse. Sie leben weitaus isoliert im Camp. Aus wirtschaftlicher Not, Angst vor negativen Konsequenzen für ihre Familien im Herkunftsland sowie vor einer drohenden Abschiebung trauen sich nur wenige, sich an die Polizei oder Hilfsorganisationen zu wenden und verbleiben ohne Unterstützung in ausbeuterischen Verhältnissen.

Bis jetzt wurde laut Giovanni Mininni, Generalsekretär der Gewerkschaft Flai Cgil, kein Euro in Borgo Mezzanone investiert - weder in den Arbeitsschutz noch in menschenwürdige Lebensbedingungen oder Infrastruktur. Ob der vor wenigen Tagen erfolgte Besuch einer Delegation von Gewerkschafter*innen, italienischen und europäischen Parlamentarier*innen und Vertreter*innen der Europäischen Kommission zu Verbesserungen der Lebensbedingungen in der Siedlung führen wird, bleibt abzuwarten.

 

8. Juli 2025: CPR

Unzureichendes Urteil des Verfassungsgerichts: CPRs weiterhin in rechtlicher Grauzone

Italiens Abschiebezentren Centri di Permanenza per il Rimpatrio (CPRs) stehen nach einem aktuellen Urteil des italienischen Verfassungsgerichts erneut in der Kritik. Am 3. Juli erkannte das Gericht an, dass die Inhaftierung in CPRs eine Einschränkung der persönlichen Freiheit gemäß Artikel 13 der Verfassung darstellt und daher eines angemessenen rechtlichen Rahmens bedarf. Anstatt jedoch das derzeitige System für verfassungswidrig zu erklären, wies das Gericht die Beschwerde als unzulässig zurück und forderte das Parlament zum Handeln auf. Das Problem liegt darin, dass CPRs in einer rechtlichen Grauzone operieren – sie unterliegen internen Vorschriften, die je nach Zentrum unterschiedlich sind, ohne einheitliche nationale Standards. Menschenrechtsorganisationen wie Antigone warnen seit Jahren vor willkürlichen Einschränkungen, unzureichendem Rechtsschutz und systematischen Menschenrechtsverletzungen.

Auch medizinisches Fachpersonal in den CPRs schlägt Alarm: Inhaftierte leiden unter unbehandelten gesundheitlichen Problemen und psychischen Belastungen. Einige Insassen befinden sich im Hungerstreik – oft ohne angemessene Versorgung. Die Nationale Ärztekammer Fnomceo prangert an, dass „CPRs Leben gefährden“. Nach dem Urteil des Gerichts wurden sechs Migranten aus CPRs in Rom und Gjader freigelassen. Mindestens drei weitere Anträge werden nun dahingehend geprüft. Das System als Ganzes bleibt jedoch unverändert. Kritiker*innen betonen, dass das Gericht zwar den Weg für neue rechtliche Anfechtungen geebnet, aber nicht entschieden genug gehandelt habe. Solange das Parlament kein Gesetz erlässt, das rechtliche Grenzen, Aufsicht und Rechte der Inhaftierten definiert, werden Menschen weiterhin ohne Rechtfertigung in den CPRs eingesperrt. 

 

4. Juli 2025: Arbeitsausbeutung

Migrant*innen als Ware: neues Dekret zur Arbeitskräftezuwanderung

Mit dem neuen decreto flussi, welches die Einreisequoten ausländischer Arbeitskräfte für 2026-2028 festlegt, sollen „die Arbeitskräfteressourcen sichergestellt werden, die für das nationale Wirtschaftssystem und die Produktion unverzichtbar sind“, so die italienische Regierung. In den nächsten drei Jahren sollen 500.000 Personen – 10 % mehr Menschen als bisher – in den italienischen Arbeitsmarkt einwandern. Während das Instrument auf dem Papier den Erwartungen der Unternehmer*innen entspricht, haben 2024 nur 12 % der Arbeiter*innen, die mit dem decreto flussi nach Italien gekommen sind, eine sichere Arbeitsstelle gefunden und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten: Unendliche lange Wartezeiten, unzulängliche Bürokratie und organisierte Kriminalität sind nur einige der Gründe dafür. Tatsächlich sei das decreto flussi „eine herausragende Maschine zur Schaffung von Illegalität“, wie Filippo Miraglia, Teil der Kampagne Ero Straniero, erklärt. Die illegalisierten Migrant*innen sind die Leidtragenden: Sie leben „mit hoher Wahrscheinlichkeit in unserem Land in völliger Prekarität und ohne Dokumente, in Gefahr, ausgebeutet zu werden“.

Für die Rhetorik der italienischen Regierung sind das rekordhohe decreto flussi und die Abschottungspolitiken – albanischen Lager, Verfolgung von zivilen Seenotrettungsorganisationen und Unterstützung von Regimen, die Geflüchtete foltern – Teile desselben Vorhabens: Darüber zu entscheiden, wer nach Italien kommt. Tatsächlich ist der gemeinsame Nenner der widersprüchlich erscheinenden Regierungspolitiken, Migration sowohl als politisches Kapitel – zum Schüren von Rassismus und Unsicherheitsgefühle, was in Freiheitsbeschränkungen resultiert – als auch zur Schaffung von ausbeutbaren Arbeitskräften zu nutzen, bemerkt il manifesto. Die italienische Einwanderungspolitik zwingt Migrant*innen dazu jede Arbeitsbedingung zu akzeptieren und jede Misshandlung hinzunehmen, da eine Entlassung das Risiko der Abschiebung mit sich bringt.

 

1. Juli 2025: CPR

Hinter den Mauern der CPRs: Gewalt, Isolation und rechtliche Schutzlosigkeit

In den vergangenen Wochen haben zahlreiche Berichte und Zeugenaussagen die strukturellen Probleme in Italiens Abschiebezentren (CPRs) offengelegt. Am 28. Juni mobilisierten zivilgesellschaftliche Gruppen in Trapani, um gegen die Praxis der Verwaltungshaft zu protestieren und langanhaltende Isolation sowie strukturelle Gewalt zu kritisieren. Interviews mit Insassen des CPR Trapani-Milo, veröffentlicht von Fanpage, berichten von unmenschlichen Zuständen: Menschen werden wochenlang festgehalten, ohne zu wissen warum, ohne Kontakt zur Familie und ohne Möglichkeit, sich gegen ihre Inhaftierung zu wehren. Laut Ristretti Orizzonti bestehen zahlreiche Hürden, die es den Betroffenen unmöglich machen, wirksamen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Eine weitere Recherche von Diario Prevenzione deckt massive Verstöße gegen das Recht auf Gesundheit auf,  insbesondere bei psychisch erkrankten Personen, denen medizinische Versorgung systematisch verwehrt wird. Gleichzeitig zeigen Videos, die von Avvenire und InfoMigrants veröffentlicht wurden, Gewalt im CPR von Gradisca d’Isonzo: Polizisten sind dabei zu sehen, wie sie einen Insassen schlagen. Die Behörden bestreiten Misshandlungen, das Material bestätigt jedoch erneut den Vorwurf systemischer Gewalt und Straflosigkeit innerhalb der CPRs. Das CPR-System, ursprünglich als logistische Maßnahme zur Durchführung von Abschiebungen legitimiert, fungiert heute als paralleles Haftsystem ohne Kontrolle und rechtliche Garantien. Menschen werden dort bis zu 18 Monate festgehalten, ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren, ohne Rechte.

 

25. Juni 2025: Italien-Albanien Deal

Medienberichte decken direkte Abschiebungen aus Albanischem CPR auf

Am 23.06.2025 berichteten italienische Medien von einem Vorgang, der sich bereits am 09. Mai abgespielt hat: In einer Nacht-und-Nebel Aktion hat die italienische Meloni-Regierung fünf ägyptische Staatsbürger, die im italienischen Abschiebezentrum (CPR) in Gjadër (Albanien) untergebracht waren, über den Flughafen von Tirana abgeschoben. Nach bisheriger Praxis wurden die in Albanien untergebrachten Personen zuvor stets nach Italien gebracht, bevor eine Abschiebung erfolgte. Der Abschiebeflug startete zunächst vom internationalen Flughafen Rom Fiumicino und landete kurze Zeit später in Albanien. Dort wurden die fünf Personen an Bord genommen und anschließend nach Ägypten abgeschoben. Dieser Vorgang wirft erhebliche Zweifel an seiner Vereinbarkeit mit geltenden Vorschriften auf:  Laut Gianfranco Schiavone von der Associazione per gli studi giuridici sull’immigrazione habe der Transport der Personen in einer Art rechtsfreiem Raum stattgefunden. Der Transport der Personen außerhalb des Zentrums von Gjadër auf albanischem Gebiet hätte keiner gerichtlichen Kontrolle unterlegen und sei somit ohne jegliche rechtliche Grundlage erfolgt. Darüber hinaus widerspreche die unmittelbare Abschiebung der europäischen Rückführungsverordnung. Diese Praxis erschwert auch die öffentliche Kontrolle über die Einhaltung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen.

 

20. Juni 2025: Tod und Verschwinden

Tod und Verschwinden an den Grenzen: zwischen Erinnerung und Auslöschung

Am 13. Juni haben wir an einer Konferenz teilgenommen, die von dem Verein Memoria Mediterranea und CLEDU (Law Clinic der Universität) organisiert wurde: "Gemeinsam mit den Müttern, Schwestern, Vätern, Brüdern und Familienangehörigen von Menschen, die an den europäischen Grenzen - auf See, in Haftanstalten oder an den Grenzen - gestorben oder verschwunden sind, wird die Veranstaltung den Familien einen Raum bieten, um ihren Kampf für die Suche, die Identifizierung, die Wahrheit und die Gerechtigkeit für ihre verlorenen Angehörigen gegenüber den verantwortlichen und zuständigen Institutionen geltend zu machen."

Memoria Mediterranea ist der Verein, der die Struktur von Borderline Sicilia, unserem früheren Partner, übernommen hat. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Unterstützung von Angehörigen bei der Identifizierung und Rückführung menschlicher Überreste.

Auf der Konferenz kamen die Angehörigen der an den Grenzen Verstorbenen und Vermissten zu Wort (siehe Bilder unten). Am Nachmittag wurde aufgelistet, welche Maßnahmen von staatlicher Seite dringend notwendig sind, um Identifizierungen systematisch und standardisiert durchzuführen und ein verbindliches Verfahren innerhalb der Behörden bei Todesfällen und Verschwinden auf See zu etablieren.

Wir haben die Stimmen von MemMed auch in unserem Streiflicht-Magazin „Verlorene Leben, unerzählte Geschichten“ vorgestellt.

 

Titelfoto: Wolfgang Hasselmann, unsplash