06.12.2022

Nach 3 Jahren Haft: Berufungsverfahren gegen Amir Zahiri und Akif Razuli findet auf Lesbos statt

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Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can't evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean

Nachdem die beiden Schutzuchenden Amir Zahiri (27) und Akif Razuli (24) aus Afghanistan im September 2020 trotz fehlender Beweise wegen "Beihilfe zur unerlaubten Einreise" zu 50-jährigen Haftstrafen verurteilt wurden, findet diesen Donnerstag, den 8. Dezember 2022, endlich die mehrfach verschobene Berufungsverhandlung in Mytiline, Lesbos, statt. Die beiden Angeklagten werden beschuldigt,  "Schleuser" zu sein. Mehrere Initiativen fordern den Freispruch und die Freilassung der beiden Angeklagten.



Amir und Razuli, 25 und 23 Jahre alt, flohen aus Afghanistan auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit. Angesichts Europas zunehmender Abschottungspolitik, die es Geflüchteten unmöglich macht, legal nach Europa einzureisen und Asyl zu beantragen, waren sie gezwungen, sich auf den lebensgefährlichen Weg über die Ägäis zu begeben. Mit auf dem Boot befanden sich unter anderem auch Amirs kleine Tochter und seine hochschwangere Frau.

Sie flohen im März 2020 – dem Monat, in dem die griechische Regierung die Aussetzung eines der grundlegendsten Menschenrechte – das Recht Asyl zu beantragen – verkündete und infolgedessen Schutzsuchende für ihre eigene „illegale Einreise“ bestrafte - im krassen Widerspruch zu EU-Recht und zur Genfer Flüchtlingskonvention.

Die griechische „Küstenwache“ attackierte das Boot unmittelbar nachdem es griechische Gewässer erreicht hatte und versuchte es unter Einsatz von Metallstangen zurück in türkische Gewässer zu drängen. Dabei beschädigten sie das Boot, wodurch Wasser eindrang und gefährdeten somit das Leben der Menschen an Bord.

Als das Boot zu sinken drohte, war die „Küstenwache“ gezwungen, die Menschen an Bord zu nehmen.

Nach dieser bereits zutiefst traumatisierenden Erfahrung wurden Amir und Razuli zusätzlich von der „Küstenwache“ verprügelt und willkürlich beschuldigt, die „Schmuggler“ zu sein. Laut Amirs Frau, die gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter all dies miterleben musste, hörten sie erst damit auf, als sie ihr kleines Kind schützend vor ihren Mann hielt und die Männer anflehte, aufzuhören.

Sobald sie auf der griechischen Insel Lesbos ankamen, wurden Amir und Razuli vom Rest der Gruppe getrennt und auf die Polizeiwache gebracht. Die „Küstenwache“ beschuldigte sie der eigenen „unerlaubten Einreise“, der „Beihilfe zur unerlabuten Einreise anderer Personen“ mit dem erschwerenden Umstand der „Gefährdung des Lebens anderer Menschen“. Sie kamen direkt in Untersuchungshaft und wurden am 8. September 2020 zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl es außer der Aussagen der „Küstenwache“ keine Beweise gegen sie gibt, wurden sie lediglich vom Vorwurf freigesprochen, das Leben der anderen gefährdet zu haben.

Die Berufungsverhandlung, die bereits zweimal verschoben wurde, ist nun für den 8. Dezember 2022 in Mytilene auf Lesbos angesetzt. Die Berufungsverhandlung wurde zunächst am 18. März 2022 unterbrochen und später erneut am 7. April 2022 aus fragwürdigen Gründen vertagt. Auch der Antrag auf Freilassung der beiden Angeklagten bis zum nächsten Verhandlungstermin wurde damals, obwohl selbst von der Staatsanwaltsschaft vorgeschlagen, vom Gericht abgelehnt. 

Obwohl keinerlei Beweise gegen sie vorliegen, sitzen beide Angeklagte nun bereits seit fast 3 Jahren in Haft und warten auf ihr Berufungsverfahren.

Schon lange wird vonseiten der Behörden versucht, entgegen der Fülle an Beweisen für systematische Push-Backs durch die griechische Küstenwache, die Schuldzuweisung in der Öffentlichkeit durch die Kriminalisierung von Migrant:innen auf diese zu übertragen. Dies steht im krassen Gegensatz zur völligen Straffreiheit von Gewalt gegen Migrierende an den griechischen Grenzen.

Die Fälle von Amir Zaheri und Akif Razuli sind dabei kein Einzelfall. 

CPT- Aegean Migrant Solidarity: "Menschen, die als Schleuser angeklagt sind, bilden die zweitgrößte Gefängnispopulation in Griechenland. Endlich werden diese ungerechten Verfahren ins Rampenlicht gerückt. Regelmäßig werden Migrant:innen in das Gefängnissystem gesteckt und ohne glaubwürdige Beweise verurteilt, ohne dass jemand weiß oder sich darum kümmert, wer sie sind."
 
Alle Beobachter*innen, Angehörige und Menschen, die sich solidarisch zeigen, hoffen, dass diese Woche dem rechstwidrigen und politischen Gerichtsverfahren von Amir Zahiri und Akif Razuli ein Ende gesetzt wird. 

Lorraine Leete vom Legal Centre Lesvos, dessen Anwält*innen Akif Razuli verteidigen, erklärt: "Amir und Razuli hätten niemals verhaftet, geschweige denn ohne Beweise für das vorgeworfene Verbrechen verurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden dürfen. Auch wenn die beiden die fast drei Jahre, die sie im Gefängnis verbracht haben, nie zurückbekommen werden, hoffen wir, dass dieser Justizirrtum bei der Fortsetzung ihres Berufungsverfahrens korrigiert wird."

borderline-europe: "Lange Haftstrafen für Menschen auf der Flucht, weil sie es gewagt haben, in Europa anzukommen? Der Umgang der Europäischen Union mit Schutzsuchenden im 21. Jahrhundert ist nichts anderes als schändlich und erbärmlich und wir müssen gemeinsam dagegen ankämpfen."

Das Legal Centre Lesvos, Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V., You can't evict Solidarity und Deportation Monitoring Aegean haben den Prozess seit Beginn verfolgt und die beiden unterstützt. Wir sind weiterhin mit den Angeklagten solidarisch, egal wie lange es dauern wird, bis Amir Zaheri und Akif Razuli endlich wieder in Freiheit sein können. 

Wir fordern die Freilassung von Amir Zaheri und Akif Razuli sowie Freispruch in allen Anklagepunkten!

Wir fordern Freiheit für alle, die wegen des Steuerns eines Bootes oder Fahren eines Autos inhaftiert sind, obwohl es keine Alternative gibt, um in die Europäische Union zu gelangen!

Wir fordern Ein Ende der Kriminalisierung von Migration und der Inhaftierung von Menschen auf der Flucht!



Weiterführende Infos:

 

Dienstag, 06. Dezember 2022