Verurteilt zu 50 Jahren Gefängnis - Freiheit für Amir & Razuli

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Amir und Razuli versuchten im März 2020 auf einem Schlauchboot Griechenland zu erreichen. Sie wurden von der griechischen „Küstenwache“ angegriffen, die versuchte, sie unter Gewaltanwendung zurück in türkische Gewässer zu drängen. Die „Küstenwache“ beschädigte das Boot dabei so, dass es unterzugehen drohte, sodass sie die Menschen letztlich an Bord nehmen musste. Amir und Razuli wurden festgenommen und willkürlich des „Schmuggels“ und der „Gefährdung von Menschenleben“ angeklagt, außerdem für ihre eigene Einreise. Am 8. September wurden sie zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt.

Amir und Razuli, 25 und 23 Jahre alt, flohen aus Afghanistan auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit. Angesichts Europas zunehmender Abschottungspolitik, die es Geflüchteten unmöglich macht, legal nach Europa einzureisen und Asyl zu beantragen, waren sie gezwungen, sich auf den lebensgefährlichen Weg über die Ägäis zu begeben. Mit auf dem Boot befanden sich unter anderem auch Amirs kleine Tochter und seine hochschwangere Frau.*

Sie flohen im März 2020 – dem Monat, in dem die griechische Regierung die Aussetzung eines der grundlegendsten Menschenrechte – das Recht Asyl zu beantragen – verkündete und infolgedessen Schutzsuchende für ihre eigene „illegale Einreise“ bestrafte - im krassen Widerspruch zu EU-Recht und zur Genfer Flüchtlingskonvention.

Die griechische „Küstenwache“ attackierte das Boot unmittelbar nachdem es griechische Gewässer erreicht hatte und versuchte es unter Einsatz von Metallstangen zurück in türkische Gewässer zu drängen. Dabei beschädigten sie das Boot, wodurch Wasser eindrang und gefährdeten somit das Leben der Menschen an Bord.


In den vergangenen Monaten sind zahlreiche Berichte erschienen, die das illegale und grausame Vorgehen der griechischen Küstenwache belegen: Menschen werden systematische und illegale zurückgepusht, die Motoren der Boote von Geflüchteten zerstört und die Menschen auf Schwimminseln mitten auf dem offenen Meer ausgesetzt und sich selbst überlassen. Mehr Informationen gibt es bei der New York Times, der Deutschen Welle und dem Spiegel.



Als das Boot zu sinken drohte, war die „Küstenwache“ gezwungen, die Menschen an Bord zu nehmen.

Nach dieser bereits zutiefst traumatisierenden Erfahrung wurden Amir und Razuli zusätzlich von der „Küstenwache“ verprügelt und willkürlich beschuldigt, die „Schmuggler“ zu sein. Laut Amirs Frau, die gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter all dies miterleben musste, hörten sie erst damit auf, als sie ihr kleines Kind schützend vor ihren Mann hielt und die Männer anflehte, aufzuhören.

Sobald sie auf der griechischen Insel Lesbos ankamen, wurden Amir und Razuli vom Rest der Gruppe getrennt und auf die Polizeiwache gebracht. Die „Küstenwache“ beschuldigte sie der eigenen „illegalen Einreise“, der „Beihilfe zur illegalen Einreise anderer Personen“ und der „Gefährdung des Lebens anderer Menschen“.

Sie kamen direkt in Untersuchungshaft und wurden am 8. September 2020 zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl es außer der Aussagen der „Küstenwache“ keine Beweise gegen sie gibt, wurden sie lediglich vom Vorwurf freigesprochen, das Leben der anderen gefährdet zu haben.

Wir fordern die sofortige Freilassung von Amir und Razuli und das Fallenlassen aller Anklagepunkte!

Fast täglich werden Schutzsuchende für ihre eigene Flucht kriminalisiert und willkürlich zu langen Haft- und hohen Geldstrafen verurteilt (siehe z.B. der Fall von Hamza und Mohamed). Angeklagte haben in der Regel nur begrenzt Zugang zu Rechtsbeistand; Urteile werden oft trotz fehlender Beweise und mangelhafter oder gar fehlender Übersetzung gefällt. In Griechenland dauert ein derartiges Gerichtsverfahren im Schnitt lediglich 30 Minuten und mündet in einer durchschnittlichen Gefängnisstrafe von 44 Jahren und einer Geldstrafe von 370.000 Euro. Die so verurteilten Menschen machen laut offiziellen Zahlen des griechischen Justizministeriums derzeit die zweitgrößte Gruppe aller Inhaftierten aus. Die Schicksale dieser Menschen sind jedoch nur selten bekannt. Sie werden meist unmittelbar nach ihrer Ankunft verhaftet und unbemerkt weggesperrt, ohne dass ihre Namen bekannt sind und ohne Zugang zu Unterstützung von außen.

Aber wir kennen die Geschichte von Amir und Razuli! Wir haben Anwält*innen für sie organisiert und werden für ihren Freispruch im Berufungsverfahren kämpfen!

Hilf uns, ihre Geschichte zu verbreiten!

Die willkürliche Inhaftierung von Geflüchteten und Migrant*innen in der Europäische Union muss enden!


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*Amirs Frau hat inzwischen ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Nach der Verhandlung traf Amir zum ersten Mal auf sein zwei Monate altes Baby, und als er sein Kind zum ersten Mal in den Armen hielt, wurden er von Beamt*innen angschrien, er solle den Säugling der Mutter zurückgeben.


UNTERSTÜTZT UNS IM KAMPF GEGEN KRIMINALISIERUNG: https://www.betterplace.org/de/projects/79969-solidarisch-gegen-die-kriminalisierung-von-flucht-und-migration


26. Oktober 2020