24.11.2024

Kreta: 16-Jährigem drohen 4670 Jahre Haft wegen Schmuggel

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Gemeinsames Statement von borderline-europe, Aegean Migrant Solidarity und Can't Evict Solidarity

Vor knapp einem Jahr wurde H. Elfallah, ein Fischer aus Ägypten, wegen "Beihilfe zur unerlaubten Einreise" zu einer Haftstrafe von 280 Jahren verurteilt. Am 27. November 2024, steht sein minderjähriger Sohn, der inzwischen 16-jährige M. Elfallah, wegen der gleichen Anschuldigungen vor dem Jugendgericht in Kreta (sein Prozess war ursprünglich auf den 28. Februar angesetzt, wurden dann aber verschoben). Vater und Sohn hatten im November 2022 gemeinsam versucht, Europa auf einem Boot zu erreichen. Aufgrund seiner Erfahrung als Fischer, übernahm der Vater Aufgaben an Bord – woraufhin beide nach ihrer Ankunft in Griechenland wegen Schmuggels verhaftet wurden. Ihre Geschichte zeigt deutlich: Europas angeblicher "Kampf gegen kriminelle Schleuser" richtet sich vor allem gegen Flüchtende selbst.

Obwohl M. und sein Vater die Reise im November 2022 gemeinsam antraten, ist der Jugendliche nun fast 1,5 Jahre von seinem Vater getrennt. Getrennt, weil sie nach ihrer Ankunft von den griechischen Behörden wegen Schmuggels festgenommen wurden. Getrennt, weil in Griechenland bereits die Übernahme von Aufgaben an Bord ausreicht, um den Straftatbestand der Schleusung zu erfüllen. Getrennt, weil sein Vater sofort in Untersuchungshaft kam, während M. in ein Heim für Minderjährige gebracht wurde. Getrennt, weil H. Elfallah im März 2023 zu 280 Jahren Haft verurteilt wurde, während M. noch auf seinen Prozess für die gleichen Anklagen wartete.

H. Elfallah ist ein 45-jähriger Vater von vier Kindern, ein Fischer aus Ägypten. Nachdem einer seiner Söhne ins Vereinigte Königreich migrierte, wollten er und sein 15-jähriger Sohn ihm folgen. Am 21. November 2022 gingen sie in Libyen an Bord eines großen Fischkutters, zusammen mit Hunderten von anderen Menschen. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Boot von jemandem gesteuert werden muss, insbesondere ein Boot dieser Größe. Ein Boot dieser Größe benötigt normalerweise mehrere Personen, die sich um die Navigation, Steuerung und Mechanik kümmern.

H. Elfallah wollte diese Aufgaben nicht übernehmen, er wollte nicht die Verantwortung für Hunderte von Menschen auf einem für eine solche Reise schlecht ausgerüsteten Boot übernehmen, ohne Vorbereitung. Angesichts der zunehmenden Kriminalisierung von Fluchthilfe sind es jedoch meist die Migrierenden selbst, die das Boot steuern müssen. Und da Elfallah sich die Reise für sich und seinen Sohn nicht leisten konnte, bot er seine Erfahrung in der Seefahrt als Bezahlung an und erklärte sich bereit, im Gegenzug für einen günstigeren Fahrpreis einige Aufgaben an Bord zu übernehmen.

Infolgedessen wurden er und sein Sohn nicht nur wegen Schmuggels von insgesamt 467 Personen angeklagt, sondern auch wegen der erschwerenden Umstände, dass sie aus Gewinnstreben gehandelt haben und Teil einer kriminellen Vereinigung sind.

Dies ist ein besonders perfider Missbrauch eines Gesetzes, das angeblich Migrierend vor Ausbeutung schützen soll. Die Behörden stützen den Vorwurf des Profitstrebens auf die Tatsache, dass sie als Gegenleistung für die Übernahme von Aufgaben an Bord einen reduzierten Preis für die Reise erhalten haben. Das bedeutet, dass das Gesetz nicht nur diejenigen bestraft, die es zu schützen vorgibt, sondern in Wirklichkeit die am stärksten Marginalisierten unter ihnen, die sich die Reise nicht leisten können und daher gezwungen sind, sich einem noch größeren Risiko auszusetzen; etwas, das wir bereits in anderen Fällen wie dem der Paros3 gesehen haben.

Der Fall der Familie Elfallah verdeutlicht anschaulich die realen Auswirkungen europäischer Anti-Schmuggel-Politik und Gesetzgebung.

H. Elfallah und ein weiterer Passagier wurden bereits am 6. März 2023 vom Gericht in Kreta für schuldig befunden und zu 280 Jahren Haft verurteilt. Am Mittwoch, den 27. November 2024, steht nun auch der minderjährige M. Elfallah wegen derselben Anschuldigen vor Gericht.

Maria Flouraki, Anwältin von M. Elfallah: "Mein Mandant ist minderjährig und ist nicht in Schmuggel verwickelt und könnte es aufgrund seines Alters auch nicht sein. Er ist nur ein Kind, das seinen Vater begleitete. Er befand sich gegen seinen Willen auf einem unkontrollierten Schiff. Wir vertrauen auf die Justiz."

Er und seine Familie brauchen unsere volle Solidarität!

Gemeinsam mit Mohamad, dem Sohn von H. Elfallah und dem Bruder von M. Elfallah, fordern wir:

  •  dass die Anklagen gegen M. Elfallah fallen gelassen werden    
  •  Freiheit für alle, die wegen des Steuern eines Boots inhaftiert sind, obwohl es keine Alternative gibt, um die Europäische Union zu erreichen    
  •  Ein Ende der Kriminalisierung von Migration und der Inhaftierung von Menschen auf der Flucht.


Für mehr Informationen wenden Sie sich bitte an Julia Winkler, borderline-europe: jw@borderline-europe
 



Hintergrundinfo:
Basierend auf dieser Definition von "Menschenschmuggel" wurden bereits Tausende von Menschen verurteilt und für Jahre ins Gefängnis gesteckt, obwohl sie lediglich versuchten, sich und andere in Sicherheit zu bringen. Unsere Studie "Ein rechtsfreier Raum. Die systematische Kriminalisierung von Geflüchteten für das Steuern eines Bootes oder Autos nach Griechenland" zeigt, wie der griechische Staat seit mehreren Jahren systematisch solche Anklagen gegen Migierende erhebt, die in Griechenland ankommen.

Die Verhaftungen, die diesen oft unbegründeten Anschuldigungen des Schmuggels folgen, sind willkürlich, und die anschließenden Gerichtsverfahren missachten in eklatanter Weise grundlegende Standards der Fairness. Ohne ausreichende Beweise werden die Betroffenen in der Regel unmittelbar nach ihrer Ankunft verhaftet und kommen für lange Zeit in Untersuchungshaft. Wenn die Fälle endlich vor Gericht kommen, dauern sie im Durchschnitt nur 37 Minuten und führen zu einer durchschnittlichen Verurteilung von 46 Jahren und Geldstrafen von insgesamt 332.209 Euro.


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