05.03.2023

Kreta: Fischer drohen 4760 Jahre Haft wegen Schmuggel

Gemeinsames Statement von borderline-europe, Can't Evict Solidariy, CPT - Aegean Migrant Solidarity und Alarm Phone

+++ UPDATE 06.03.23: H. Elfallah wurde heute Morgen zu 280 Jahren Haft verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, obwohl das Gericht "seine Gründe berücksichtigte". Er wurde zusammen mit einer zweiten Person verurteilt, die von sich sagte, er sei der Kapitän. Die anderen vier Angeklagten wurden freigesprochen. +++

Am 22. November 2022 lief ein Fischerboot mit fast 500 Menschen an Bord in den griechischen Hafen von Paleochora auf Kreta ein. Nachdem es bei starkem Wind die Kontrolle verloren hatte und im Meer trieb, rückte die griechische Küstenwache zur Rettung aus und schleppte das Schiff an Land. Unmittelbar danach nahmen sie sieben Überlebende fest, die versucht hatten, sich um die Steuerung des Schiffes zu kümmern. Unter ihnen befanden sich H. Elfallah und sein 15-jähriger Sohn. Dem Vater, der beschuldigt wird, 476 Menschen geschmuggelt zu haben, wird am Montag, den 06. März, auf Kreta der Prozess gemacht.

Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Boot von jemandem gesteuert werden muss, insbesondere ein Boot dieser Größe. Ein Boot dieser Größe braucht eigentlich mehrere Personen, die sich um die Navigation, die Steuerung und die Mechanik kümmern. Wenn es in der Gruppe Leute gibt, die zumindest etwas Erfahrung in der Seefahrt haben, übernehmen sie in der Regel das Steuer - was nur sinnvoll ist und im Interesse aller liegen sollte, die das Wohl der Menschen an Bord im Auge haben.

In Europa werden diese Menschen jedoch verhaftet und wie Kriminelle behandelt, sie werden bestraft, um andere abzuschrecken, sie werden als Sündenböcke benutzt, um von der Verantwortung abzulenken, die Europa mit seiner Politik der geschlossenen Grenzen trägt, die die Menschen dazu zwingt, diese Boote zu besteigen und diese Reisen überhaupt erst zu unternehmen. Zynischerweise werden sie oft nicht nur des Schmuggels beschuldigt, sondern auch, "das Leben anderer gefährdet zu haben" - obwohl sie es sind, die die Reise für alle sicherer gemacht haben.

H. Elfallah und sein 15-jähriger Sohn sind zwei derjenigen, die in dieses Fadenkreuz geraten sind. Dem Vater wird die "unerlaubte Einreise" und der "unerlaubte Transport von 476 Drittstaatsangehörigen in das griechische Hoheitsgebiet" vorgeworfen, mit den erschwerenden Umständen "Gefährdung des Lebens der Passagiere", "Handeln aus Gewinnstreben" und "Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung". Nach Artikel 30 des griechischen Migrationsgesetzes drohen ihm somit 10 Jahre pro beförderter Person, was eine Gesamtstrafe von bis zu 4760 Jahren ergibt.

Die Anklage gegen den Minderjährigen ist derzeit noch unklar.

Elfallah ist ein 45-jähriger Vater von vier Kindern, ein Fischer aus Ägypten. Nachdem einer seiner Söhne in das Vereinigte Königreich migriert war, wollten er und sein 15-jähriger Sohn ihm folgen. Am 21. November 2022 gingen sie in Libyen an Bord eines großen Fischkutters, zusammen mit Hunderten von anderen Menschen.

Elfallah konnte die Kosten von mehreren tausend Euro für die Reise für sich und seinen Sohn nicht aufbringen. Als Gegenleistung für einen günstigeren Preis erklärten er und sein Sohn sich bereit, einige Aufgaben zu übernehmen - etwas, das auf der Fluchtroute nach Europa sehr üblich ist. Flüchtende müssen die Boote in der Regel selbst steuern.

Elfallah und sein Sohn wollten diese Aufgaben nicht übernehmen, sie wollten nicht die Verantwortung für Hunderte von Menschen auf einem für eine solche Reise schlecht ausgerüsteten Boot übernehmen, ohne Vorbereitung. Aber das sind die Bedingungen, mit denen Menschen auf der Flucht in heutigen Zeiten konfrontiert sind, wenn sie versuchen, die europäischen Küsten zu erreichen.

Aber deswegen wird er jetzt nicht nur wegen Schmuggel, sondern auch des Handelns aus Gewinnstreben angeklagt. Dies ist ein besonders perfider Missbrauch eines Gesetzes, das angeblich Schutzsuchende vor Ausbeutung schützen soll. Das bedeutet, dass das Gesetz nicht nur diejenigen bestraft, die es vorgibt schützen zu wollen, sondern in Wirklichkeit die am stärksten Marginalisierten unter ihnen, die sich die Reise nicht leisten können und daher gezwungen sind, sich einem noch größeren Risiko auszusetzen - was wir in anderen Fällen, wie dem der Paros3, gesehen haben.

Nachdem ihr Schiff südlich von Kreta in Seenot geraten war und von der griechischen Küstenwache an Land geschleppt wurde, wurden Elfallah und sein 15-jähriger Sohn getrennt. Während der 15-Jährige in ein Lager für Minderjährige gebracht wurde, wurde der Vater direkt festgenommen. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft im Gefängnis von Chania.

Gemeinsam mit Mohamad, dem Sohn von H. Elfallah und dem Bruder des 15-jährigen Minderjährigen, fordern wir:

  • dass die Anklagen gegen den Vater und den minderjährigen Sohn fallen gelassen werden
  • Freiheit für alle, die wegen des Steuern eines Boots inhaftiert sind, obwohl es keine Alternative gibt, um die Europäische Union zu erreichen
  • Ein Ende der Kriminalisierung von Migration und der Inhaftierung von Menschen auf der Flucht.



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Zahlreiche Menschen wurden so bereits verurteilt und für Jahre inhaftiert - ungeachtet der Tatsache, dass sie versucht haben, sich und andere in Sicherheit zu bringen. Wie von CPT - Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe und Deportation Monitoring Aegean dokumentiert, wird die Erhebung solcher Anklagen gegen Geflüchtete, die auf den griechischen Inseln ankommen, vom griechischen Staat seit mehreren Jahren systematisch betrieben. Die Verhaftungen, die diesen oft unbegründeten Anschuldigungen des Schmuggels folgen, sind oft willkürlich, und die Prozesse verstoßen meist gegen grundlegende Standards der Fairness. Ohne ausreichende Beweise werden Menschen in der Regel bei ihrer Ankunft verhaftet und monatelang in Untersuchungshaft gehalten. Wenn ihr Fall schließlich vor Gericht kommt, dauern die Prozesse im Durchschnitt nur 38 Minuten und führen zu einer durchschnittlichen Strafe von 44 Jahren und Geldstrafen von über 370.000 Euro. Derzeit sind deswegen etwa 2.000 Menschen in griechischen Gefängnissen inhaftiert und bilden damit die zweitgrößte Gruppe in griechischen Gefängnissen.



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Sonntag, 05 März 2023