25.06.2021

Vom libyschen Fußballplatz ins italienische Gefängnis - Freiheit für die vier Fußballer

+++ Lies hier: Oberster Gerichtshof in Italien verurteilt libysche Fußballspieler zu 30 Jahren wegen angeblichen Schmuggels und Mordes +++

Italiano | English
Während die europäische Fußballmeisterschaft in vollem Gange ist, wird am kommenden Freitag, den 02. Juli 2021, über das Schicksal von vier libyschen Fußballspielern in einem italienischen Gericht in Rom entschieden. Die vier wollten nach Europa kommen, um dort ihre Fußballkarriere zu verfolgen. Nach ihrer Ankunft wurden sie zu 30 Jahren Haft verurteilt.

Joma, Ali, Abdelrahman und Muhannad spielten für den Ahli Bengazi, den Al-Madina Club und den Libyan Tahadi Club. Als der Bürgerkrieg in Libyen ausbrach und keine Trainings mehr stattfanden, entschieden sie sich, zu versuchen, Europa zu erreichen, um dort ihren Ambitionen zu folgen. Ali war erst 20, als er das Land verließ.

Im Jahr 2015 überquerten sie das Mittelmeer auf einem Holzboot, auf dem sich mehr als 360 Menschen befanden. 49 Menschen, die im Schiffsrumpf sitzen mussten, erstickten während der Fahrt. Diese Tragödie wurde als das "Ferragosto-Unglück" bekannt, benannt nach dem italienischen Feiertag, an dem es sich zutrag.

In Italien wurden Joma, Ali, Abdelrahman und Mohannad als die "Schmuggler" verhaftet und der "Beihilfe zur illegalen Einwanderung" angeklagt, mit dem erschwerenden Umstand, den Tod von 49 Menschen verursacht zu haben.

Sie wurden zu jeweils 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

Als ihre Familien in Libyen von ihrer Verhaftung erfuhren, begannen sie gemeinsam mit Freund*innen und den Fußballvereinen, sich für ihre Unschuld und Freilassung einzusetzen. So schafften sie es, Aufmerksamkeit zu erregen und die vier wurden schließlich sogar Spielball eines diplomatischen Auseinanderetzung zwischen Italien und dem libyschen Haftar, der ihre Freilassung als Teil eines Gefangenenaustauschs forderte.

Die Familien und die vier beteuern ihre Unschuld und beschwören, dass sie nur Europa erreichen wollten und stattdessen nun zum Sündenbock in einem bösartigen politischen Spiel gemacht werden.

Ali: "(...) wir haben das Boot nicht gesteuert. Wir sind angeklagt und zu 30 Jahren verurteilt worden, nur weil wir Libyer sind. Ich würde wirklich gerne, eines Tages, falls möglich, den Richtern, die mich verurteilt haben begegnen, um zu verstehen warum und auf welcher Basis sie das getan haben. Wenn sie nur 10 Prozent von dem, was meine Anwältin an Beweisen vorgelegt hat, erwägt und geglaubt hätten, wäre ich freigesprochen worden. Aber wer weiß warum sie es nicht getan haben."

Der Fall von Joma, Ali, Abdelrahman und Mohannad ist leider kein Einzelfall, sondern paradigmatisch für eine weitere Facette der europäischen Abschottungspolitik. Während europäische Seenotretter*innen und Aktivist*innen viel mediale Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten, wenn sie zur Zielscheibe zunehmender Kriminalisierung werden, bleibt die alltägliche Praxis der Inhaftierung von Nichteuropäern (immer Männer), die mit denselben Vorwürfen konfrontiert werden, fast unbemerkt. Die von der Kriminalisierung am meisten Betroffenen sind jedoch nicht diejenigen, die Migrationsbewegungen unterstützen, sondern diejenigen, die gezwungen sind, auf unsicheren und illegalisierten Routen zu reisen. Sie bilden die Mehrheit derjenigen, die in Italien und Griechenland wegen angeblicher "Schleusung" und "Beihilfe zur illegalen Einwanderung" festgenommen und inhaftiert werden.

Grundlage dafür eine Gesetzgebung, die jede Person, die während der Überfahrt eine "aktive" Rolle gespielt hat, als Schmuggler betrachtet; vom Halten der Steuerrads, über das Verteilen von Wasser oder das Ausschöpfen von Wasser eines Lecks, wobei die Anklagen von Schmuggel bis zur grenzüberschreitenden kriminellen Verschwörung und - wenn Menschen unter Deck ersticken oder beim Kentern eines Bootes ertrinken - sogar bis zum Mord reichen. Für jedes Boot, das ankommt, verhaftet die Polizei eine oder mehrere Personen.

Die Verhaftungen, die auf diese oft unbegründeten Anschuldigungen des Schmuggels folgen, sind willkürlich und beruhen auf überstürzten Ermittlungen und Verhörden unter Druck und Zang. Zeug*innen werden noch auf See wenige Stunden nach ihrer Rettung von der Polizei befragt, nachdem sie gerade einen Schiffbruch überlebt haben und sich meist noch im Schockzustand befinden. Oft wird den Menschen im Gegenzug für ihre "Kooperation" eine Aufenthaltsgenehmigung versprochen.

Die Anwält*innen der vier glauben, dass die Tatsache, dass sie Arabisch sprechen und aus Libyen stammen, und weil Ali angeblich einigen Menschen, die während der Überfahrt starben, Wasser reichte, andere Passagier*innen und die italienische Polizei zu der Vermutung veranlasste, dass sie zu den Organisatoren der Überfahrt gehörten.

Ali: "Sie haben mich nur gefragt, ob ich Libyer bin und ich habe "ja" gesagt. Sie haben mich mitgenommen, weil ich aus einem Land komme, in dem der Krieg regiert. Nur wegen einer Flasche Wasser, die ich nicht einmal überreicht habe, haben sie mich zu 30 Jahren verurteilt."

Cinzia Pecoraro, Rechtsanwältin: "Können Sie sich vorstellen, dass ein 12 Meter langes Boot mit fast 400 Menschen an Bord eine Besatzung hat? Die Passagier*innen werden zusammengequetscht und nur einer fährt das Boot. Sie alle versuchen zu überleben, aber das bedeutet nicht, dass sie für den grausamen Tod der anderen Passagier*innen verantwortlich sind. Sie hatten keine Waffen und keine Ahnung von der Seefahrt, sie waren nur Passagiere. Mein Mandant wurde als eine Person identifiziert, die auf dem Boot Wasser verteilte, und das machte ihn zu einem Teil der Besatzung - also sitzt er jetzt 30 Jahre ein für das Verteilen von Wasser."

Wie Joma, Ali, Abdelrahman und Mohannad sind die Menschen, die als "kriminelle Schmuggler*innen" dargestellt werden, meist selbst Migrant*innen, die für die Überfahrt über das Meer bezahlt haben bei dem Versuch, in der Europäischen Union Sicherheit zu finden. Sie fallen der rücksichtslosen EU-Politik gegen Schlepper*innen zum Opfer, die nicht nur gegen grundlegende Menschenrechte verstößt, sondern auch unwirksam hinsichtlich ihrem erklärten Ziel, Schleppernetzwerke zu zerstören und die Migration nach Europa zu stoppen, ist. Wie erst kürzlich enthüllte offizielle Dokumente zeigen, wissen die Behörden in Italien das nur allzu gut. Doch es zählt der innenpolitische Erfolg. So präsentieren die Behörden Menschen, die vor Armut und Gewalt fliehen und nur begrenzte Mittel haben, um sich vor Gericht verteidigen zu können, als "Schuldige" dar und lenken von ihrer eigenen Verantwortung für das Sterben und Ertrinken im Mittelmeer ab.

Inzwischen haben Joma, Ali, Abdelrahman und Muhannad bereits mehr als fünf Jahre im Gefängnis verbracht. Ihr Fall wird am Freitag, den 2. Juli, vor dem Kassationsgericht in Rom verhandelt.

In Briefen, die Ali und Muhannad aus dem Gefängnis geschickt haben, schreiben sie:

Muhannad: "Die italienische Justiz hat mich zerstört. Ich habe alles verloren, ich habe meinen Antrieb verloren und ich habe meine Zukunft verloren. Ich habe meine Freundin verloren. Mein Freund, ich will nicht auch mich selbst im Gefängnis verlieren."

Ali: "Danke für diese Aufmerksamkeit, ich danke allen die gewillt sind, zu helfen ... ihr habt meine Zustimmung und maximale Verfügbarkeit, ich authorisiere euch über unseren Fall zu schreiben und zu sprechen und falls möglich unser Sprachrohr zu sein und die Wahrheit zu verbreiten, um uns von den vielen bösen Zungen zu verteidigen, da wir nicht die Möglichkeit haben, uns selbst zu verteidigen, und der ganzen Welt und den Menschen, die uns kennen und lieben zu zeigen, dass wir unschuldig sind."

Italien und die Europäische Union müssen damit aufhören, Menschen dafür zu kriminalisieren, nur dass sie in der EU Schutz suchen und die willkürliche Inhaftierung von Schutzsuchenden als angebliche "Scbhmuggler" beenden! Freiheit für Joma, Ali, Abdelrahman und Muhannad!

#FreeTheFootballers #LiberateICalciatori

 

Lest hier die vollständigen Briefe von Ali und Muhanad aus dem Gefängnis:


Mehr Informationen:

 


Freitag, 25. Juni 2021