Scirocco Timeline
Scirocco [ʃiˈrɔkko-Schirokko] ist ein südöstlicher, heißer starker Wind, der für oftmals nur wenige Stunden Staub und Sand über das Mittelmeer nach Sizilien und Italiens Norden trägt. Diese Kurzinfo erscheint seit März 2021. Seit Juni 2025 in einem neuen Format: Statt einmal im Monat informiert die neue Scirocco-Timeline zeitnah über die neusten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Italien rund um das Thema Migration.
1. Juli 2025 – CPRs
Hinter den Mauern der CPRs: Gewalt, Isolation und rechtliche Schutzlosigkeit
In den vergangenen Wochen haben zahlreiche Berichte und Zeugenaussagen die strukturellen Probleme in Italiens Abschiebezentren (CPRs) offengelegt. Am 28. Juni mobilisierten zivilgesellschaftliche Gruppen in Trapani, um gegen die Praxis der Verwaltungshaft zu protestieren und langanhaltende Isolation sowie strukturelle Gewalt zu kritisieren. Interviews mit Insassen des CPR Trapani-Milo, veröffentlicht von Fanpage, berichten von unmenschlichen Zuständen: Menschen werden wochenlang festgehalten, ohne zu wissen warum, ohne Kontakt zur Familie und ohne Möglichkeit, sich gegen ihre Inhaftierung zu wehren. Laut Ristretti Orizzonti bestehen zahlreiche Hürden, die es den Betroffenen unmöglich machen, wirksamen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Eine weitere Recherche von Diario Prevenzione deckt massive Verstöße gegen das Recht auf Gesundheit auf, insbesondere bei psychisch erkrankten Personen, denen medizinische Versorgung systematisch verwehrt wird. Gleichzeitig zeigen Videos, die von Avvenireund InfoMigrants veröffentlicht wurden, Gewalt im CPR von Gradisca d’Isonzo: Polizisten sind dabei zu sehen, wie sie einen Insassen schlagen. Die Behörden bestreiten Misshandlungen, das Material bestätigt jedoch erneut den Vorwurf systemischer Gewalt und Straflosigkeit innerhalb der CPRs. Das CPR-System, ursprünglich als logistische Maßnahme zur Durchführung von Abschiebungen legitimiert, fungiert heute als paralleles Haftsystem ohne Kontrolle und rechtliche Garantien. Menschen werden dort bis zu 18 Monate festgehalten, ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren, ohne Rechte.
25. Juni 2025: Italien-Albanien Deal
Medienberichte decken direkte Abschiebungen aus Albanischem CPR auf
Am 23.06.2025 berichteten italienische Medien von einem Vorgang, der sich bereits am 09. Mai abgespielt hat: In einer Nacht-und-Nebel Aktion hat die italienische Meloni-Regierung fünf ägyptische Staatsbürger, die im italienischen Abschiebezentrum (CPR) in Gjadër (Albanien) untergebracht waren, über den Flughafen von Tirana abgeschoben. Nach bisheriger Praxis wurden die in Albanien untergebrachten Personen zuvor stets nach Italien gebracht, bevor eine Abschiebung erfolgte. Der Abschiebeflug startete zunächst vom internationalen Flughafen Rom Fiumicino und landete kurze Zeit später in Albanien. Dort wurden die fünf Personen an Bord genommen und anschließend nach Ägypten abgeschoben. Dieser Vorgang wirft erhebliche Zweifel an seiner Vereinbarkeit mit geltenden Vorschriften auf: Laut Gianfranco Schiavone von der Associazione per gli studi giuridici sull’immigrazione habe der Transport der Personen in einer Art rechtsfreiem Raum stattgefunden. Der Transport der Personen außerhalb des Zentrums von Gjadër auf albanischem Gebiet hätte keiner gerichtlichen Kontrolle unterlegen und sei somit ohne jegliche rechtliche Grundlage erfolgt. Darüber hinaus widerspreche die unmittelbare Abschiebung der europäischen Rückführungsverordnung. Diese Praxis erschwert auch die öffentliche Kontrolle über die Einhaltung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen.
20. Juni 2025: Tod und Verschwinden
Tod und Verschwinden an den Grenzen: zwischen Erinnerung und Auslöschung
Am 13. Juni haben wir an einer Konferenz teilgenommen, die von dem Verein Memoria Mediterranea und CLEDU (Law Clinic der Universität) organisiert wurde: "Gemeinsam mit den Müttern, Schwestern, Vätern, Brüdern und Familienangehörigen von Menschen, die an den europäischen Grenzen - auf See, in Haftanstalten oder an den Grenzen - gestorben oder verschwunden sind, wird die Veranstaltung den Familien einen Raum bieten, um ihren Kampf für die Suche, die Identifizierung, die Wahrheit und die Gerechtigkeit für ihre verlorenen Angehörigen gegenüber den verantwortlichen und zuständigen Institutionen geltend zu machen."
Memoria Mediterranea ist der Verein, der die Struktur von Borderline Sicilia, unserem früheren Partner, übernommen hat. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Unterstützung von Angehörigen bei der Identifizierung und Rückführung menschlicher Überreste.
Auf der Konferenz kamen die Angehörigen der an den Grenzen Verstorbenen und Vermissten zu Wort (siehe Bilder unten). Am Nachmittag wurde aufgelistet, welche Maßnahmen von staatlicher Seite dringend notwendig sind, um Identifizierungen systematisch und standardisiert durchzuführen und ein verbindliches Verfahren innerhalb der Behörden bei Todesfällen und Verschwinden auf See zu etablieren.
Wir haben die Stimmen von MemMed auch in unserem Streiflicht-Magazin „Verlorene Leben, unerzählte Geschichten“ vorgestellt.