02.07.2021

Pressemitteilung: Oberster Gerichtshof in Italien verurteilt libysche Fußballspieler zu 30 Jahren wegen angeblichen Schmuggels und Mordes

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Berlin/Rom - Der oberste Gerichtshof in Italien hat gestern, am 2. Juli 2021, die Verurteilung von vier wegen Mordes und Menschenschmuggels angeklagten libyschen Fußballern zu 30 Jahren Haft bestätigt. Menschenrechtsorganisationen und Journalist*innen haben darauf hingewiesen, dass die Ermittlungen und der Prozess von Widersprüchen in den Zeugenaussagen und Ungereimtheiten geprägt waren.

Die vier jungen Männer - Joma, Ali, Abdelrahman und Mohannad - verließen Libyen im Jahr 2015 auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg und in der Hoffnung, ihre Karriere auf dem Fußballplatz in Europa fortzusetzen. Tragischerweise starben 49 weitere Migranten, die unter Deck sitzen mussten, während der Reise über das Mittelmeer. Die polizeilichen Ermittlungen nach der Anlandung identifizierten die vier libyschen Migranten als Teil der "Besatzung" des Schiffes und verantwortlich für die Todesfälle. Doch Journalist*innen und ihre Verteidiger*innen weisen seit Jahren auf Ungereimtheiten und Fehler bei den Ermittlungen und im Prozess hin.

"Das Kassationsgericht hat die Berufungen abgelehnt und die Verurteilung bestätigt. Wir werden auf die offizielle Begründung des Richters warten und in der Zwischenzeit an der Wiederaufnahme des Verfahrens arbeiten, da wir von der Unschuld unserer Mandanten überzeugt sind."  Serena Romano, die Anwältin, die Joma Tarek verteidigt.

Claudia Gazzini von der International Crisis Group erklärt: "Es gibt weiterhin eine juristische Sturköpfigkeit in diesem Fall und das ist beunruhigend. Aber wir glauben weiterhin an die Unschuld dieser jungen Männer und werden weiter für ihre Freilassung kämpfen."

Die vier Angeklagten, die bereits seit mehr als fünf Jahren im Gefängnis sitzen, sowie ihre Familien in Libyen, beteuern ihre Unschuld. In einem Brief aus dem Gefängnis schreibt Ali, einer der Angeklagten: "Sie haben mich nur gefragt, ob ich aus Libyen komme, und ich habe 'ja' geantwortet. Sie haben mich weggebracht, weil ich aus einem Land komme, in dem der Krieg herrscht, und nur wegen einer Flasche Wasser, die ich nicht einmal übergeben habe, haben sie mich zu 30 Jahren verurteilt."

Die NGO 'borderline-europe', die mit zwei der Angeklagten und ihren Familien in Kontakt steht, kommentiert: "Wir sind zutief enttäuscht von der heutigen Entscheidung, für die vier jungen Männer und ihre Familien in Libyen, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen haben. Wir haben schon viele ähnliche Fälle begleitet, in denen die Behörden Schutzsuchende als 'Schmuggler' festnehmen, die selbst für die Überfahrt über das Meer bezahlt haben. Auf diese Weise werden Menschen, die nur begrenzte Mittel haben, um sich vor Gericht zu verteidigen, als die 'Schuldigen' dargestellt und für die Katastrophen auf dem Mittelmeer verantwortlich gemacht, während die wahren Schuldigen die europäischen Regierungen sind, die die Grenzen schließen und die Menschen in gefährliche Situationen zwingen."

Grundlage dafür eine Gesetzgebung, die jede Person, die während der Überfahrt eine "aktive" Rolle gespielt hat, als Schmuggler betrachtet; vom Halten der Steuerrads, über das Verteilen von Wasser oder das Ausschöpfen von Wasser eines Lecks, wobei die Anklagen von Schmuggel bis zur grenzüberschreitenden kriminellen Verschwörung und - wenn Menschen unter Deck ersticken oder beim Kentern eines Bootes ertrinken - sogar bis zum Mord reichen.

Die Verhaftungen, die auf diese oft unbegründeten Anschuldigungen des Schmuggels folgen, sind willkürlich und beruhen auf überstürzten Ermittlungen und Verhörden unter Druck und Zang. Zeug*innen werden noch auf See wenige Stunden nach ihrer Rettung von der Polizei befragt, nachdem sie gerade einen Schiffbruch überlebt haben und sich meist noch im Schockzustand befinden.

Während europäische Seenotretter*innen und Aktivist*innen viel mediale Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie zur Zielscheibe zunehmender Kriminalisierung werden, bleibt die alltägliche Praxis der Inhaftierung von Nichteuropäern, die mit denselben Vorwürfen konfrontiert werden, fast unbemerkt. Sie sind jedoch die Mehrheit derjenigen, die in Italien und Griechenland wegen angeblicher "Schleusung" und "Beihilfe zur illegalen Einwanderung" festgenommen und inhaftiert werden.


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© Foto: Michele Bitetto, Unsplash


Freitag, 03 Juli 2021