Panel discussion: Impunity through externalisation? Interventions against human rights violations at sea and beyond

Am Dienstag, den 23.10.18, veranstaltete borderline europe gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und SOS Mediteranée eine Podiumsdiskussion mit dem Thema „Impunity through externalisation? Interventions against human rights violations at sea and beyond“. Der Abend beschäftigte sich mit Menschenrechtsverletzungen durch die Europäische Union und durch ihre Partner*innen, etwa der Libyschen Küstenwache, auf dem Mittelmeer. Besonderer Fokus lag auf der Rechtslage ergo den Möglichkeiten, auf rechtlicher Ebene zu intervenieren. 

Auf dem Podium sprachen hierzu Itamar Mann, Dozent an der Rechtsfakultät der Universität Haifa und Rechtsberater für das Global Legal Action Network, und Jana Ciernioch, Communications Manager bei SOS Mediteranée Deutschland.

Der Einstieg erfolgte mit dem Fall „Mare Clausum“ vom 06.11.2017: Das Rettungsschiff Sea-Watch der gleichnamigen Seenotrettungsorganisation als auch ein Patrouillenboot der so genannten lybischen Küstenwache erreichten auf dem Mittelmeer ein in Seenot geratenes Holzboot mit etwa 130 – 150 Menschen. Es folgte ein konfrontatives Zusammentreffen, bei dem Sea-Watch 59 Menschen retten und nach Italien bringen konnte, während 47 Menschen gegen ihren Willen von der lybischen Küstenwache zurück nach Tripoli gebracht wurden und mindestens 20 Menschen ertranken. Forensic Oceanograhpy and Forensic Architecture erstellten mithilfe umfassenden Videomaterials eine detaillierte Rekonstruktion und Dokumentation des Vorfalls in Form eines 30-minütigen Videoberichts, der zu Beginn der Veranstaltung gezeigt wurde.

Der Videobericht ist (auf Englisch und Italienisch) hier zu finden: https://www.forensic-architecture.org/case/sea-watch/

Itamar Mann sprach im Anschluss daran über die Klage, die diesbezüglich gegen Italien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte läuft. Das aggressive und letztlich tödliche Verhalten der lybischen Küstenwache steht in direktem Zusammenhang mit der rigorosen Abschottungspolitik der europäischen Union mit dem Ziel, Menschen um jeden Preis an einem Erreichen europäischen Festlandes zu hindern. Illegale „pull backs“ wie am 06.11.17 und die damit verbundene Ausrüstung und Ausbildung der nordafrikanischen Küstenwachen sind neben der voranschreitenden Kriminalisierung privater Seenotrettung wesentlicher Bestandteil jener Politik. So war etwa das Boot der lybischen Küstenwache eine Spende des italienischen Innenministers. 8 der 13 lybischen Crewmitglieder hatten zuvor Training durch die EUNAVOR MED, die europäische Anti-Schmuggel-Operation, erhalten. Diese ist wesentlich am Aufbau der lybischen Küstenwache beteiligt. Italien selbst hatte die lybische Küstenwache an besagtem Tag über das Boot in Seenot informiert. Die darauffolgende Intervention wurde teilweise von Rom aus durch das Maritime Rescue and Coordination Centre (MRCC), einer italienischen Regierungsbehörde, koordiniert.

17 Überlebende des fatalen Bootsunglücks vom 06. November 2017 sind nun mit Unterstützung mehrerer Menschenrechtsorganisationen vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gezogen und haben Klage gegen Italien eingereicht. Damit leiten sie erstmals juristische Schritte gegen die illegalen, von der EU unterstützten, pull-backs ein. 

In dem der Klage zugrunde liegenden Antrag zeigen sie auf, wie die Intervention der Küstenwache den Bedingungen eines förmlichen Abkommens zwischen Italien und der libyschen Regierung des Nationalen Abkommens vom Februar 2017 nachkommt. Infolge dessen und mehrerer anderer Abkommen hat Italien die libysche Vorgehensweise auf See ermöglicht und koordiniert. In dem Antrag wird ausgeführt, dass das Abkommen die rechtliche Verantwortung Italiens für die Handlungen italienischer und libyscher Schiffe in diesem Fall aufzeigt.

Im Anschluss daran gab Jana Jana Ciernioch von SOS Mediteranée ergänzend Einblicke in die gegenwärtige Situation privater Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Ciernioch kritisierte, dass aktuell kein einziges humanitäres Schiff vor Ort sei, um in Seenot geratene Menschen zu retten. Nur das Aufklärungsflugzeug „Moonbird“ der Kolleg*innen von Sea-Watch kann überhaupt noch Boote in Seenot sichten. Einzelne europäische Staaten wie Malta oder Italien haben in den vergangenen Monaten zivile Organisationen gezielt am Retten gehindert. Es gibt somit kaum noch Zeugen, die unabhängig über die Lage im Mittelmeer berichten können. Auch das Rettungsschiff von SOS Meditarenée, die Aquarius, liegt bis auf weiteres im Hafen von Marseille, bis ihr Flaggenstatus geklärt ist.In einem beispiellosen politischen Manöver hatte die Panamaische Schifffahrtsbehörde (PMA) Ende September angekündigt, der Aquarius die Flagge entziehen zu wollen. Grund dafür war politischer Druck aus Italien. 

Mehr Informationen hier:

Abkommen Italien-Libyenhttp://www.asgi.it/wp-content/uploads/2017/02/ITALY-LIBYA-MEMORANDUM-02.02.2017.pdf

Pressemitteilung Sea-Watchhttps://sea-watch.org/klage-gegen-italien-wegen-der-koordinierung-der-rueckfuehrungen-der-libyschen-kuestenwache/

Report “Mare Clausum”:https://bit.ly/2HUpeP4

Pressemitteilung SOS Mediterranée: https://sosmediterranee.de/update-auf-der-suche-nach-einer-neuen-flagge-fuer-die-aquarius/