23.06.2022

Kommunalwahlen auf Sizilien – „Den Linken werden keine Geschenke gemacht“

Diese Worte sind es, die die Fröhlichkeit über den Ausgang der Kommunalwahlen am 12. Juni auf Sizilien des Forza-Italia-Vorsitzenden Silvio Berlusconi zeigen. Mit einer vereinten Mitte-Rechts-Strategie war seine Partei vor allem in Palermo erfolgreich. Roberto Lagalla, gemeinsamer Kandidat der Mitte-Rechts-Parteien (bestehend aus der föderalistischen und EU-kritischen Lega, den national-konservativen Fratelli d’Italia, der katholisch-demokratischen Forza Italia sowie weiteren kleinen liberal-konservativen Parteien), gewann die Wahl mit 47,6%. In seinem Wahlprogramm geht es vor allem um Veränderungen der Stadt und Verwaltung und Veränderungen wirtschaftlicher Art, die Palermo als Hauptstadt der wirtschaftsschwachen Region Sizilien voranbringen sollen. Migration, Menschenrechte oder die politische und humanitäre Tragödie im Mittelmeer waren im Wahlkampf kein Thema – weder bei linken noch bei rechten Parteien. Palermo, der Standort unserer Außenstelle auf Sizilien, befindet sich direkt an der Außengrenze der Europäischen Union.
Besonders im Hinblick auf den bisherigen Bürgermeister Leoluca Orlando scheint die Veränderung groß. Auch wenn Orlando in seiner Arbeit und seinem Wirken unter Palermitaner*innen umstritten war und besonders zuletzt an Zustimmung und Popularität verlor, so war seine stets offene und hilfsbereite Haltung bezüglich Migration sein Markenzeichen. Mit der Palermo-Charta über die internationale Mobilität von Menschen, auch über den Schengenraum hinaus, schuf er eine politische Grundlage zur Öffnung der Häfen Palermos entgegen der politischen Linie Roms.
Die Hoffnung bleibt, dass sich die Situation für Menschenrechtsaktivist*innen nicht drastisch verschlechtern wird. „Hoffen wir, dass die neue politische Situation zumindest den Weg frei macht für neue Energie, neue Ideen, neue Akte der Solidarität und des Mutes!“ – Menschenrechtsaktivist in Palermo [übersetzt aus dem Englischen]
Die Auswirkungen, die diese politische Veränderung für unsere Arbeit mit sich bringt, müssen sich also erst noch zeigen. Klar ist jedoch, dass die Mehrheit, die Lagalla im Stadtrat vorsieht, politisch eindeutig rechts zu verorten ist - unterstützt von Anhängern Berlusconis, Salvinis und Melonis. Zudem gibt es Menschen mit alten Verbindungen zur Mafia, die sogar in diesem Zusammenhang verurteilt wurden. Auch die Familie seiner Frau ist bekannt für die Verbindungen in die Mafia in Agrigento, von der sich Lagalla jedoch öffentlich distanzierte. Zu seinem Amtseinstand veranstaltete er am 21. Juni eine Gedenkfeier für von der Mafia Getötete.
OUR VOICE, eine junge aktivistische Vereinigung in Palermo, findet klare Worte: „Angesichts der von mafiös-wirkenden Männern unterstützten Wahlkampagne und zweier Verhaftungen in der Mitte-Rechts-Koalition wegen politisch-mafiösem Wahlaustausch ist der morgige Tag [21. Juni, Anm. der Red.] für uns ein heuchlerisches Ereignis, auf das eine sofortige und kompromisslose Antwort gegeben werden muss. Die Bewegung OUR VOICE wird morgen Vormittag bei der Veranstaltung anwesend sein, um Bürgermeister Lagalla zur Rechenschaft zu ziehen und ihn aufzufordern, sich von Cuffaro und Dell'Utri zu distanzieren, die ihn trotz rechtskräftiger Verurteilungen wegen Mafiaverbrechen (verbüßte Strafen) unterstützt haben. Und um sich von der Politik zu distanzieren, die in Palermo, wie in ganz Italien, seit zu vielen Jahren betrieben wird und die die Mafia begünstigt. […] Unschuldige Mafiaopfer können nicht zur Gewissensbereinigung benutzt werden!“ [übersetzt aus dem Italienischen]
Die Wahl in Palermo verzeichnet einen traurigen Negativ-Rekord – die Wahlbeteiligung liegt mit nur 41,82% auf einem Rekord-Tief. Im Stadtbild von Palermo stechen in den Tagen vor der Wahl nicht nur zahlreiche Wahlplakate ins Auge, auch haben sich Menschen in der ganzen Stadt mit Graffitis verewigt. Diese immer gleichen Graffitis fordern auf, nicht wählen, sondern stattdessen lieber ans Meer zu gehen (siehe Titelbild). Woher sie kommen und wer sie aufgesprüht hat – man weiß es nicht. Aber an diesem sonnigen Sonntag scheinen sich viele Palermitaner*innen daran gehalten zu haben. Wichtiger schien zudem das abendliche Fußballspiel gegen Padua, dass Palermo in die zweite Liga aufsteigen ließ. In der Stadt herrschte feiernder Ausnahmezustand. Wählen wurde für knapp 60% der Bürger*innen zweitrangig. Und selbst die, die wählen wollten, sahen sich mit diversen Ungereimtheiten konfrontiert. Nicht nur gab es in vielen Wahllokalen zu wenig Stimmzettel, auch haben einige Wahllokale gar nicht oder massiv verspätet geöffnet. Schon am Vorabend zur Wahl wurde bekannt, dass circa 170 Wahlpräsident*innen ihr Amt niederlegten, circa 80 dieser Wahllokale konnten in der Folge gar nicht öffnen, für die Übrigen schaffte die Präfektur in der Nacht Notlösungen. Und doch wurden auch dort Menschen vertröstet, vor verschlossenen Türen weggeschickt und gebeten, es vielleicht später am Tag noch einmal zu versuchen. Menschen, die ihrer demokratischen Stimme beraubt wurden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die Anwaltskammer fordert hingegen sogar eine Annullierung der Wahlen. Fraglich ist, warum nicht eine Stimme der Empörung in der Bevölkerung oder Opposition laut wurde. Das lässt auf eine massive Fehleinschätzung und Ohnmacht der Linken schließen.

Auch auf Lampedusa bleibt zunächst unklar, wie sich die Situation für Geflüchtete verändern wird. Filippo Mannino gewann gegen den scheidenden linken Bürgermeister Totò Martello. Mannino ist ein ehemaliger Angehöriger der Fünf-Sterne-Bewegung. Dieser hat sich zunächst nicht zum direkten Umgang mit Anlandungen und dem völlig überfüllten Hotspot der Insel geäußert. Er sieht die Aufnahme von Geflüchteten jedoch in nationaler Verantwortung und die Kommunalpolitik nicht verantwortlich. Die Aufgabe Lampedusas sei es, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Danach sei es Angelegenheit des italienischen Staats, die Zuständigkeit für die angekommenen Menschen zu übernehmen. Zudem hat er den offenen Umgang seines Vorgängers mit Migration auf Lampedusa mehrfach kritisiert.