29.06.18 Konferenz in Marseille: „Europa lässt sich einsperren: gibt es keinen Ausgang?“

Am 29. Juni fand in Marseille, der Hauptstadt der französischen Region Provence, eine Konferenz des französischen Vereins La Cimade statt zum Thema der Binnen- und Außengrenzen Europas. Anlass für die Konferenz war die Veröffentlichung des Berichts „Europa lässt sich einsperren: gibt es keinen Ausgang?“. Knapp 160 Personen nahmen teil, darunter vor allem Mitglieder des Vereins und seines Netzwerks in der Region.

Das Ziel der Konferenz war es, durch drei Podiumsdiskussionen die Arbeit von Forscher*innen und Aktivist*innen des Vereins und ihres Netzwerks vorzustellen. Zu Beginn gab es eine Einführung über den Schengen-Raum als Beispiel für den Widerspruch zwischen den politischen Zielen „Freihandel“ auf der einen Seite und „Sicherheit der europäischen Union“ auf der anderen Seite. Anschließend folgte die erste Podiumsdiskussion zum Thema der Schließung und Verschärfung der Grenzen. Nach einem Überblick über die Wiederherstellung der Grenzkontrollen im Schengen-Raum wurde die Lage an den Grenzen Frankreichs detailliert dargestellt. Denn seit 2015 werden die Grenzkontrollen zwischen Frankreich und Italien sowie zwischen Frankreich und Spanien im Namen des sogenannten Kampfes gegen den Terror systematisch durchgeführt. Es gab seitdem 50 000 Push-Backs von Frankreich nach Italien, wobei sich auch Minderjährige unter den zurückgeschobenen Personen befanden. Außerdem kam es an der französisch-italienischen Grenze zu insgesamt 22 Todesfällen. An der Grenze zwischen Frankreich und Spanien kam es zu 9 000 Push-Backs. Dabei wurden diese Push-Backs lediglich angewandt, um eine bestimmte Anzahl zu erreichen. Anschließend wurde die Frage der Außengrenzen Schengens angesprochen: es entstehen immer mehr Mauern und Zäune und es kommen immer mehr neue Technologien zum Einsatz, durch die die Grenzüberwachung ausgebaut wird. Durch diese neuen Technologien entsteht eine Art unsichtbare Mauer, die im Gegensatz zu den realen Zäunen nicht direkt sichtbar ist. In diesem unscharfen Bereich wird der Zugang zu Rechten oftmals systematisch verweigert. Einer der Hauptakteur*innen und Profiteur*innen des Grenzschutzes sind Unternehmen, die immer enger mit der EU in diesem Bereich zusammenarbeiten.

Die zweite Podiumsdiskussion handelte von der Inszenierung der Grenze als eine Art von Schauspiel. Dabei ging es um die Inszenierung und Dramatisierung der Mauer, von der vor allem rechte Politiker*innen versuchen zu profitieren. Sie nutzen die Vorfälle an der Grenze, um ihre rechten politischen Ziele durchzusetzen, wie etwa einen verstärkten Polizeieinsatz oder mehr Grenzschutz. Sie nutzen es auch aus, um die öffentliche politische Debatte an sich zu reißen. Diese Instrumentalisierung der Grenze als Schauspiel lässt sich auch in Arizona in den USA beobachten, jedoch mit dem Unterschied, dass in Europa rechtsextremistische Gruppen versuchen, sich als Alternative zum scheiternden Staat darzustellen. Des Weiteren war das Gesetz als ein weiteres Mittel zur Verriegelung der Grenze Thema der zweiten Podiumsdiskussion. Dabei wurde eingehender auf das Beispiel Ungarn geblickt. Ungarn wird für seine Transitzentren und die automatischen Zurückweisungen nach Serbien von der Europäischen Union kritisiert, allerdings drängt genau diese das Land dazu, die östliche Schengen-Grenze zu sichern. Obwohl Ungarns Politik unvereinbar mit internationalem und europäischem Recht ist, stellt sich die Frage, ob nicht genau diese Politik dem eigentlichen europäischen Wunsch entspricht und ob die EU sich nicht schon bald Ungarn und seine Transitzentren als Beispiel für die Politik an der Außengrenze nimmt.

Am Nachmittag folgte schließlich die dritte und letzte Podiumsdiskussion über die Möglichkeiten zum Widerstand gegen Einschüchterungen und Repressionen. Das Thema der Kriminalisierung der Solidarität mit Geflüchteten und der Geflüchteten selbst wurde durch die Erfahrung von drei Aktivist*innen behandelt. Yousra El Otmany hat als erste über ihre Erfahrung als marokkanische Aktivistin in Madrid mit der Organisation Caminando Fronteras berichtet. Sie berichtete dabei, wie eine ihrer Kolleginnen für Menschenhandel polizeilich verfolgt wird. Moustafa Haj Rashid, Geflüchteter und Aktivist, hat über seine Erfahrung im City Plaza Hotel in Athen erzählt. Das Hotel wurde nach dreijährigem Leerstand von Anarchist*innen besetzt und anschließend für Geflüchtete zur Verfügung gestellt. Anhand dieses Beispiels wurden die Unterschiede zwischen einem Militärlager und einem selbstorganisierten Camp vorgestellt. Schließlich erzählte Nan Suel von Terre d’Errance in Nordfrankreich über die zerbrechliche Toleranz zwischen Freiwilligen und der Polizei und wie sich zwischen den beiden Gruppen ein Klima des Misstrauens etabliert hat. Der Austausch mit dem Publikum war lebhaft und ermöglichte es, zahlreiche Besetzungsinitiativen wie z.B. in Marseille und Amiens vorzubringen.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass dieser Tag dazu diente, Information zu teilen und zu zeigen, dass trotz der Verringerung und Einschränkung der demokratischen Räume in Europa, es immer Hoffnung und Menschen gibt, die bereit sind, für Menschenrechte zu kämpfen.